Hallo? Kann hier jemand Deutsch?

Hallo? Kann hier jemand Deutsch?

Schulgebäude in der Heinrich – Liebieg – Straße

“Entschuldigung, sprechen Sie Deutsch?” – fragen wir öfter, wenn wir in Tschechien unterwegs sind.

Wie ist aber eigentlich die Situation bezüglich der Deutschkenntnisse? Wo wird Deutsch richtig unterrichtet?

In Reichenberg hat Robert Schiller nachgeforscht. Am Beispiel der Grundschule „Husova“ können wir sehen, dass hier die Kleinsten eine ordentliche und qualitative Portion Deutsch jeden Tag serviert bekommen.

Wie sieht es also aus?

Der Fremdsprachenunterricht an der Grundschule „Husova“ beginnt ab der ersten Klasse. Das ist eine Ausnahme in Tschechien, es ist die einzige staatliche Grundschule (Klassen eins bis neun), die nach diesem Modell unterrichtet.

Die Eltern, bzw. die Kinder wählen eine Fremdsprache aus, bevor sie mit der ersten Klasse beginnen. Es stehen 30 Plätze für Englisch und 30 für Deutsch zur Verfügung, Klasse 1A und 1B.

Hier geht es mit Deutsch los: die Erstklässler haben zweimal wöchentlich Deutsch mit tschechischer Lehrerin (2x45min wöch.) Bei Fremdsprachenunterricht wird die Klasse generell in zwei Gruppen aufgeteilt, also an einer Unterrichtseinheit arbeiten gleichzeitig zwei tschechische Lehrer(innen) in zwei separaten Unterrichtsräumen. Dazu kommt mehrmals wöchentlich eine Muttersprachlerin oder ein Muttersprachler. Er ist beim Werken, Mathe, Sozialkunde, aber auch beim Deutschunterricht dabei. Es handelt sich oft um junge Leute, die das Goethe-Institut im Rahmen eines Praktikums oder eines freiwilligen sozialen Jahres, vermittelt. Eine junge Studentin oder ein Praktikant aus Deutschland macht den Unterricht viel attraktiver. Das mögen die Schüler.

Jedes Schuljahr bis zur 5. Klasse steigt die Anzahl der Fremdsprachenstunden oder sie ist wenigstens gleich, wie im Vorjahr.

Ab der 6. Klasse kommt die zweite Fremdsprache dazu. Die erste Sprache – hier Deutsch – wird dann weniger intensiv unterrichtet, dafür aber die zweite Sprache recht intensiv. Hier ist die zweite meistens Englisch, es kann aber auch Französisch sein. Am Ende der achten Klasse sollen die Sprachniveaus der Schüler für die beiden Fremdsprachen gleich sein.

Die Muttersprachler sprechen in der Schule offiziell kein Tschechisch.

Die Kinder haben aber die Möglichkeit, mit den Muttersprachlern außerhalb des Schulraums auch zu sprechen – Small talks in der Schulkantine, auf dem Sportplatz, in der Garderobe, in der Pause auf dem Flur, aber sogar auch in der Stadt zum Beispiel an der Bushaltestelle oder am Kiosk, einfach da, wo sie den beliebten ausländischen Freund zufällig treffen.

Es ist einfach sehr schön zu beobachten, wie zum Beispiel drei kleine Jungs an der Bushaltestelle der jungen Praktikantin versuchen zu beschreiben, dass der oder der andere gerade mit dem nächsten Bus dorthin fahren wird. Und alles auf Deutsch, etwa so: “mein Bus fahren… nein, mein Bus fährt… ich fahre zu, ne, ne… ich fahre nach Hause…”

Die Muttersprachler arbeiten nicht mit einem Buch. Sie sollen den Unterricht noch interessanter machen, sie spielen, zeichnen oder singen mit den Kindern. Hier findet der Unterricht selten in der Schulbank statt.

Der Deutschunterricht ab der ersten Klasse hat den großen Vorteil, dass Kinder, die noch nicht schreiben können, die Vokabeln und Phrasen nachsprechen und so fast akzentfreies Deutsch lernen.

Später können sie auch alles aufschreiben, aber die richtige Aussprache, die in den kleinen Köpfen gespeichert ist, bleibt über die ganze Schulzeit (und auch länger) erhalten.

Wenn Sie bald wieder nach Tschechien fahren, zögern Sie nicht, die jüngste Generation nach dem Weg zum Hotel oder nach der Straße zur Berghütte zu fragen. Vor allem in Reichenberg. Und am besten die Kinder und Jugendliche von der Schule „Husova“ aufsuchen!

Das Gebäude in der Heinrich – Liebieg – Strasse, unweit der Talsperre, wurde vom Architekten Oskar Rössler in den Jahren 1913-1914 gebaut. Es sollte eine Schule sein, aber die Ereignisse in den ersten Existenzjahren des Gebäudes ermöglichten es nicht. Es diente im ersten Weltkrieg als Lazarett.

Erst nach dem Weltkrieg betraten Kinder die Schwelle des Hauses. Es war eine Staatsoberrealschule und ab 1934 ein deutsches staatliches Gymnasium.

Bis vor Kurzem hat man noch ab und zu an ruhigen Nachmittagen während der Korrektur der Klassenarbeiten Schritte der verletzten Soldaten aus dem ersten Weltkrieg auf den alten Holzfußböden gehört. Allerdings heute, nach einer internen Gedenkveranstaltung an die Opfer des Krieges sowie nach der Gedenkveranstaltung an die Opfer der Weltkriege und der Anbringung der Gedenktafel auf dem alten Friedhof in Reichenberg in 2014 ist wieder Ruhe. Sie müssen es nicht glauben. Aber es ist so.

 

Robert Schiller 2017

Veröffentlicht in Aktuelles, Aus dem Heimatkreis Reichenberg, Reichenberg heute Liberec.